Aus dem Nebel der eigenen Geschichte aufgetaucht: das College.
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Es passiert mir nicht oft, daß ich bei einem Eintrag in diesem Blog lange nach dem Einstieg suchen muß, aber momentan bin ich so bewegt, aufgedreht, ungläubig, kurz: gobsmacked, daß mir die Worte fehlen.
Facebook hat mir soeben eine wunderschöne Überraschung bereitet. Ich habe Nachricht von jemandem erhalten, den ich zum letzten Mal vor 15 Jahren gesehen und vor neun Jahren gelesen habe.
Damals, mit 19, 20 Jahren, war ich Au-Pair in Suffolk, im Südwesten England. Ich lebte völlig abgeschieden auf einer wunderschönen, denkmalgeschützten Farm aus dem 16. Jahrhundert. Im Gegensatz zu anderen Au-Pair-Müttern aus meinem Bekanntenkreis nahm mich meine hart an die Kandare, she made sure she got her money’s worth. Als hochbezahlte Werbetexterin legte sie jedoch auch Wert darauf, daß ich einen anspruchsvollen Sprachkurs im College der Kreisstadt besuchte (der mir später im Studium einen nicht unerheblichen headstart bescheren sollte). Meine wöchentlichen Trips mit dem Überlandbus durch die Kornfelder in die Kreisstadt waren das absolute Highlight – ich konnte shoppen gehen, Leute kennenlernen, und mich in einem Studentenpub mit dem schlüpfrigen Namen The Spread Eagle mit meinem Lieblingsdrink Snake Bites Back besaufen.
Im College hatten wir eine sehr freundliche und engagierte Lehrerin, Freddie, die sich um uns Ausländer aus aller Herren Länder bemühte. Wo kamen wir überall her? Ich weiß es nicht mehr. Ich kann mich wirklich nur an Einen erinnern, Konstantin.
Ob er von Anfang an mein Banknachbar war, ob er tatsächlich neben mir saß, oder ob ich mir das nur in meiner Erinnerung so einbilde, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.Ich weiß aber, daß er mich stets freundlich anlächelte, freundlich grüßte, woraufhin ich im Gegenzug wahrscheinlich freundlich errötete. In meiner damaligen Wahrnehmung erschien er mir deutlich jünger als ich, obwohl uns nur zwei Jahre trennten. Er war Russe und nach Großbritannien gekommen, um an einer renommierten Schule, deren Emblem sein marineblaues Sakko zierte, Abitur zu machen. Seine Englischkenntnisse waren asugezeichnet; er stachelte meinen Ehregiz an, und es machte Spaß, sich im Unterricht die Bälle zuzuspielen.
Soweit ich mich erinnere, haben wir nie etwas gemeinsam außerhalb des College unternommen. Wir haben nie eine tiefe Freundschaft geformt. Wir haben uns nie Zettelchen zugesteckt und uns nie geküßt. Ich kann mit Sicherheit sagen, I had a crush on him, aber möchte ich, aus heutiger Sicht, diese Mischung aus Unerfahrenheit, Hilflosigkeit und Schüchternheit wirklich mit dem Begriff „Verknallt-Sein“ oder gar „Verliebtheit“ adeln?
Was also war es, das mich jahrelang, immer wieder aufs Neue, und bis auf ein Mal fruchtlos, nach ihm suchen ließ? Ich hatte es einfach gespürt, er war ein besonderer Mensch gewesen. Ich habe ihn wirklich nie vergessen, auch nicht -zig tiefergehende, beständigere Bekannt-, Freund- und Liebschaften später. Sobald ich das Internet für mich entdeckt hatte, suchte ich nach ihm. Ich erhoffte mir nichts. Ich fand nichts. Einmal gab es einen Brief, wie auch immer. Ausgerechnet den Umschlag mit der Adresse verlor ich. Unzählige Male ärgerte ich mich deswegen über mich selbst.
Jetzt kann ich seine Nachricht lesen, in perfekten Deutsch, das er sich zwischenzeitlich ebenfalls erworben haben muß. Eine Geschäftsreise führe ihn nach Deutschland. Ich sehe sein Bild auf Facebook. Kein Jüngling mehr, ein Mann mit einem freundlichen Lächeln, verheiratet.
Interwebs, I owe you. Wie wär’s mit einen Drink im Spread Eagle?
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